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Paradise
Eberhard
Stosch, Kunsthistoriker, Hamburg
Katalogtext, 2008
Erdmute Prautzsch hat sich auf dem Areal der Kunst ein breites
Repertoire erarbeitet. Grafik, Malerei, Fotografie, gestaltete Räume
und Texte sind die Felder, auf denen sie sich schöpferisch
bewegt. Es sind Werke entstanden, die in der Dichte ihres inneren
Zusammenhalts erfahrbar machen, dass die Themen und Motive, gleich
auf welchem Sektor der Gestaltung, einen Kern, ein inneres Zentrum
umkreisen.
Alles zielt auf die Erforschung derjenigen Prozesse, die den existentiellen
Standort bestimmen, also den Ort, von dem aus Welt als Summe der
Horizonte des Erlebbaren aufscheint. In der Werk um Werk fortgetriebenen
Erforschung der Wahrnehmung zeichnet sich eine geistige Bewegung
ab, die Welt und Ich nicht voraussetzen kann, sondern allererst
suchen muß. Das gilt auch für das Paradies, also den
Ort des Glücks, das hier erscheint als "voreiliger Vorschein
eines nahen Verlusts" (R. M. Rilke).
Die in dieser Ausstellung vorgestellten Werke von Erdmute Prautzsch
entstammen drei für die Künstlerin wesentlichen Schaffensgebieten,
namentlich der Malerei, der Fotografie - von ihr selbst gerne weniger
statisch als "Fototouren" bezeichnet - sowie einem Feld, das nicht
besser benannt werden kann als eine Objektkunst der kleinen Räume
- "littlerooms" eben, wie sie sie selber nennt.
Hinzu kommt das Spiel mit der Sprache, das sich bereits im Titel
der Ausstellung niederschlägt: Ein Merkmal, das die den verschiedenen
Schaffensgebieten entstammenden Werke miteinander verbindet, ist
die Ambiguität, also die Doppeldeutigkeit. Die Mehrdeutigkeit
der sprachlichen und der visuellen Gebilde ist es ja, die den Wahrnehmenden
zugleich beunruhigt und beflügelt (schon der Titel der Ausstellung
lässt sich mehrdeutig auffassen: "Gehe ein ins Paradies" ebenso
wohl wie "Auftritt des Paradieses"!). Wer sich mit dem, was in dieser
Ausstellung gezeigt wird, intensiv beschäftigt, der mag sehr
wohl zu dem Schluß kommen, dass die Triebfeder, die dem Werkprozeß
sein Momentum verleiht, als das Bestreben benennen lässt, zugleich
zu (ver)stören und zu ermutigen.
Das gilt sowohl für die Wahrnehmungsprozesse wie auch für
die Reflexionsprozesse, die sich daran anschließen. Die Wahrnehmung
nachhaltig stören heißt ja das wahrnehmende Subjekt verstören.
Und aus der Sicherung des Wahrnehmungsbestandes wächst Ermutigung.
Gestaltete Realität, die sich als Fotografie, als Malerei oder
eben auch als miniaturisiertes Objekt dem Betrachter darbietet,
schafft stets eigene Horizonte. In diese tritt der Betrachter gleichsam
physisch ein, solange er einer naiven Schaubegierde nachgibt.
Erst die Brechung dieses Zugangs, erst das Bewusstsein, dass das
vor Augen Stehende eben nicht naturwüchsig entstanden, sondern
willentlich gestaltet sei, öffnet das Tor zur Reflexion.
Es fällt auf, dass die von Erdmute Prautzsch gestalteten Realitätsausschnitte
dem Reichtum der Welt, auch und gerade der Welt des Visuellen, wenig
abgewinnen. Und wie viel weniger noch der Herrlichkeit des Paradieses!
Die Motive und Symbole, die die Künstlerin für würdig
befindet, in dem Mikroversum ihrer Bilder zu figurieren, sind nach
Variationsbreite und Tiefenstaffelung als sehr eng umschrieben anzusprechen.
Eine Grunderfahrung der Moderne lehrt jedoch: Wer sein visuelles
Repertoire auf die rechte Weise beschränkt, gewinnt andererseits:
Die bildnerischen Vollzüge ereignen sich dann auf einem Feld
des Prinzipiellen, das die Reflexion über die Phänomene
des Sehens sowie der visuell gesteuerten Sinnstiftung mit größerer
Deutlichkeit hervortreten lässt. Die Wiedergabe der Fülle
des Realen würde bloß ablenken. Die bildnerische Reduktion
lässt hervortreten, was das Wesentliche des Wahrnehmungsprozesses
ausmacht.
Die Geschichte der modernen Kunst kennt Künstler, die aus
dem immer gleichen Inventar, z. B. einige wenige Flaschen, Karaffen
etc., ein ganzes Lebenswerk destillieren konnten. Wer nun auf die
Werke zugeht, wird manche Entdeckung machen. Zum Beispiel, was die
Motive angeht: Des längeren schon malt die Künstlerin
Bilder, in denen rautenförmige "all overs", also die Bildfläche
nahsichtig strukturierende geometrische Formen dominieren. Die Entdeckung
des bildraumstiftenden Potentials dieser Rauten erwuchs zunächst
aus der Konkretion:
Ehe sie zu abstrakt bildnerisch eingesetzten Strukturmotiven wurden,
spielten sie durchaus einmal die erdnahe Rolle von Rankhilfen, wie
sie der Gärtner kennt.
Dann wurden sie zu Zeichen, die, immer virtuoser eingesetzt, zwischen
Fläche und Raum vermitteln. Im nächsten Schritt aber ereignete
sich ein bildnerischer Schub, der die aus Rauten zusammengesetzten
Gitterstrukturen in eine Metapher verwandelte, ja man darf von einem
visuellen Generalbass sprechen: Was immer die Bilder zeigen mögen,
sie zeigen es so, dass das Rautengitter stört, verstört,
als ein Hindernis erscheint, das überwunden werden will und
muß.
Zugleich aber will es selber ganz wahrgenommen sein! Und zwar als
ein vollgültiges Bildmotiv sui generis, das spätestens
seit der geometrischen Abstraktion sein Daseinsrecht behauptet.Es
handelt sich also um eine echte Paradoxie: Was das Bild zeigt, ist
nur zu haben, wenn das Gitter überwunden wird, aber die Wahrnehmung
des Gitters in seiner ästhetischen Präsenz verhindert
eben dies.
Versteckte Paradoxien wie diese sind das eine. Sie werden verstärkt
durch einen Reichtum an Bildmitteln, den die Künstlerin eben
der Beschränkung abgewinnt.
Wir sagten bereits, dass die Repräsentation von Welt in dem
Werk Erdmute Prautzschs sehr eng gefaßt ist. Wie das Werk
bedeutender Schriftsteller wie etwa Kafka oder Samuel Beckett zeigt,
liegt in der Beschränkung ein großes Potential:
Bei rechter Erschließung wird der Mikrokosmos zum Gleichnis
für das große Ganze.
In diesem Horizont erscheinen Erdmute Prautzschs "littlerooms"
als Miniatur-Bühnen, die nach einer Belebung durch Schauspieler,
durch Regisseur und Dramaturg geradezu schreien. Natürlich
ist der Betrachter dies alles in höchsteigener Person. Es gilt
der Imperativ der Phantasie: Sei der, der Du sein willst!
Die Geschichte der klassischen Moderne hat solche Mechanismen einst
als Merkzeichen künstlerischer Durchbrüche registriert.
Werke unserer Epoche, wie die Werke der Erdmute Prautzsch, werden
gerne der sogenannten Postmoderne zugeordnet. In dem Zusammenhang
wird darauf hingewiesen, das es Schicksal dieser Künstlergeneration
sei, die Errungenschaften der Klassischen Moderne zu reflektieren,
um sie sich in ihrer Substanz anzueignen. Das gilt für Formen
wie für Inhalte.
Was die Formen angeht, so lässt sich feststellen: Am Motiv
der Raute ist ablesbar, dass ein wesentliches Prinzip der Kunst,
soweit sie moderne Kunst ist, in eine zeitgenössische Position
integriert wurde: es ist das Prinzip der erschwerten Wahrnehmung.
Und darüber hinaus, das Inhaltliche: "enter paradise" enthält
jene Ambiguität, die dem Glücksverlangen der Menschheit
von jeher eingeschrieben ist: Als numen tremendum ist das Licht
des Paradieses zutiefst bedrohlich, herrlich in seiner leuchtenden
Anziehung aber als numen faszinosum.
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