erdmute prautzsch

 

Raumforschung

Jens Martin Neumann, Kunsthistoriker, Kiel
Eröffnung Kunst & Co, Flensburg, April 2007

Erdmute Prautzsch gehört sicherlich zu den interessantesten norddeutschen Malerinnen und Malern, die im Grenzbereich zur Gegenständlichkeit arbeiten. Sie verfolgt abseits der gerade eben noch gefeierten Figuration mit ihrer Inflation an vielfach trivialen Körpern, Porträts und Selbstbildnissen eine kraftvolle eigenwillige Malerei, in deren Mittelpunkt die Frage nach Raum- und Bildwirklichkeiten steht.

Erdmute Prautzschs querformatige Acrylbilder sind Landschafts- oder Raumausschnitte, die in luftiger, dabei flächiger Abwicklung monumentale, nah an die vordere Bildebene gerückte technoide Leisten- und Gitterarrangements, farbige Schnüre oder mehr florale Kugeln zeigen. Bestimmend wirken stets die klar komponierten, oftmals winkligen Flächenteilungen, also dieses besondere transparente Muster aus Farbfenstern zwischen diagonalen Balken, eine merkwürdig verzerrte Perspektive, die fragmentarisch einzelne Flächen in unterschiedlichen Ansichten und Größenverhältnissen wiedergibt, eine nur in Raumachsen und Koordinaten fassbare, letztlich aber allein in Farbe und Schichtung imaginierte Räumlichkeit sowie ein balanciertes Nebeneinander von anzitierter Gegenständlichkeit und weit getriebener Abstraktion, dieses unmerkliche Auslaufen dinglich bezeichneter Bildelemente in reine Malerei.
In der fast geometrisch exakten Struktur und den gerahmten Durchblicken, den diffus nebligen Farbfolien und vor allem in der gewissen Ort- und Zeitlosigkeit der monochromen Farbfelder offenbart sich eine kalkulierte Organisation der Bilder, die aus der Intimität subjektiver Setzung heraus zu größerer Distanzierung und objektiver Allgemeingültigkeit durchbricht. Locker hingeschriebene Pinselstriche und fleckig changierende Farbteppiche erzeugen gleichzeitig die dichte Atmosphäre der Bilder und entwickeln sie zu großer malerischer Prägnanz.  

Das spezifische Prautzsch-Prinzip ist dabei durch die und neuerliche Vernetzung von zwei Folien im Bild gekennzeichnet: einer Hintergrundfolie als duftige nuancenreiche Farbwolke, die gewissermaßen so tut, als bezeichne sie den getrübten, unscharfen oder verschwommenen Blick, und den im Vordergrund versammelten Bildelemente der Streifen, Farbbahnen und Raster, die in ihren Intervallen den Blick auf einen imaginären Raum freigeben. Gerade formal verfestigt, springt also die Malerin bereits wieder von einer Folie zur nächsten, aus der Fläche in den Raum und zurück, erzielt sowohl eine expansive räumliche Weitung im Bild als auch das flächige Ausgreifen der Bildtafel über ihre tatsächlichen Grenzen hinweg.
Zusätzlich überschreitet sie auch reale Kausalitäten, denn das, was materiell und räumlich als Gegenstand und farbige Erscheinung in der Wirklichkeit getrennt wäre, kann sich nun optisch auf einer Anschauungsebene verbinden. Diese konzeptuelle Gleichheit ist hier wichtigstes Bildmittel: Korrespondenz und Verschmelzung durch Wiederholung und Fortsetzung einer Form oder Farbe auch über räumliche Ebenen hinweg.
Die freien Strichsetzung und dynamischen Farbverdichtung führen demnach zu vitalen Raumdarstellungen, die bei Erdmute Prautzsch immer Inhalt und freie Malerei in einem sind: Pinselstriche und Farbflecken besitzen zwar dingliche Funktion und dienen der malerischen Erzählung, doch gleichzeitig zielt ihre Kunst auf die Überprüfung der eigenen Grundlagen, also auf die Mittel, die zum Gemälde führen und die einem Bild wesentlich sind.
Rein formal erprobt sie in Experimenten mit monochromen Flächen, gestischem und abstraktem Vokabular sowohl optische Effekte von Transparenz und Spiegelungen als auch das Farbmaterial selbst in pastosen und lasierenden Schichten, in stillem Farbauftrag oder bewegter Farbsetzung und untersucht im Prozess des Malens das Problem der Raumbildung, denn an die Stelle eines nur simulierten Tiefenraums tritt hier ein stärker assoziativer Farbraum, in dem Raumwerte, Bewegungsenergien und faktische Schichtung der Farbe zu freier Entfaltung kommen.

Vielleicht noch deutlicher als in den Gemälden von Erdmute Prautzsch tritt der realistische Ausgangspunkt ihrer Arbeit in den kleinformatigen Guckkästen der littlerooms zutage und ebenso der Prozess ihrer Bildfindung. Bei identischem Kompositionsprinzip zeigen sie collagierte fotografische Raumausschnitte und Außenaufnahmen im Wechselspiel von Ein- und Ausblicken mit dem typisch Prautzschen Motivset aus Gittern, Röhren und Kabeln.
In Objektträger aus Acrylglas eingelassen, sind den abgebildeten Öffnungen eigentlich fremde Fotografiefragmente hinterlegt, die wiederum aufgrund formaler und farbiger Analogien gewählt wurden. Dort wird der Wechsel der Maßstäbe innerhalb eines Bildes unmittelbar erlebbar, denn plötzlich tauchen riesige Kirschen, Blüten oder Laub in schmächtigen Türen und Fenstern auf.
Immer dokumentiert die Künstlerin ihren subjektiven Blick auf die alltägliche menschliche Umwelt – geprägt von einer sensiblen Einfühlung in das Unscheinbare, zunächst Abseitige und seiner spezifischen Stimmung – in zahlreichen Fotografien, die gleichermaßen Gedächtnisstütze und eine Art von Skizzen sind.

Fotografie erstellt nun zwar mit technischer Objektivität Fenster zur Welt, produziert aber bereits Bilder, also eine eigene Wirklichkeit, die sich malerisch nutzen lässt. Vor allem aber unterstützt das einäugige Objektiv der Kamera die Sichtweise der Künstlerin, nicht den dreidimensionalen skulpturalen Raum, sondern die Oberflächen festzuhalten. Das fotografische Bild wird dann auf der Leinwand durch inszenierte Ausschnitte, monumentales Close up, Auslassung, Farbwechsel, Verwischung bis zur Unschärfe und betonte Malgeste überwunden, das Foto in seinem Wahrheitsanspruch durch Malerei korrigiert. So fließen existente Räume und erlebte Situationen in ihre Arbeiten ein, aber nur abstrahiert zu Mustern der Komposition und zur Skala des Farbeindrucks.
Wirklichkeitsbezüge sind dieser Kunst Anlass für Malerisches, sie erschöpft sich aber nicht in der Reproduktion von Realität, sondern interpretiert sowohl unsere Lebenswirklichkeit als auch die Kunst. Wichtig erscheint mir, dass Erdmute Prautzsch bereits in der Realität diese Prinzipien des Abstrakten und Ornamentalen findet, oder anders gesprochen: Ihre Bilder sind eigentlich abstrakte Arbeiten, die ins Gegenständliche tendieren, und damit den gewohnten Weg fortschreitender Formauflösung von der realen Erscheinung Künstlerin buchstäblich hinter der Farbkomposition, mehr als die reale Dingwelt interessieren sie die vielfältigen, auch emotionalen Hintergründe.
Damit verfolgt Erdmute Prautzsch eine durchaus analytische Malerei, die dem Wesen des Bildes gilt. Sie macht schlicht Bilder über Bilder, erzeugt mit artifiziellen Mitteln Bilder, die stets mitteilten, dass sie ihre Entstehung der Untersuchung malerischer Möglichkeiten verdanken. Ganz still erfüllt sich hier eine der wichtigsten Aufgaben jeglicher gegenständlicher Malerei: die künstlerische Reflektion über den Illusionscharakter des Bildes. Malerei wird zum Klärungsvorgang über das komplexe und ausgesprochen schwierige Verhältnis von Realität, Abbild und Bildwirklichkeit genutzt – Gegensätze, die die Künstlerin zum Vorteil neuer Bildwelten zu vereinigen weiß.  

Im Letzten zielen die Bilder von Erdmute Prautzsch aber auf die vollständige Transformation geschauter Realität in eine rein bildnerische Wirklichkeit ab. Notwendig ist dafür ein Dreischritt aus Stilllegung, Konzentration und Neuaufladung: erstens Neutralisierung der realen, räumlichen Situation und der ihr eigenen Atmosphäre, dadurch Bildung eines neuen, künstlichen und mentalen Raums, zweitens Formalisierung der individuellen Raumteile zu kürzelhaften Bildzeichen und schließlich neuerliche Anreicherung dieser jetzt abstrakten Motivsymbole mit malerisch erzeugten Stimmungswerten.
Ausgesprochen wichtig ist dafür der Verzicht auf jegliche Menschen im Bild, die Räume bleiben leer zurück. Ihre Werke reproduzieren nur noch den Schein einer Wirklichkeit, sind in eine Ebene von Unwirklichkeit überführt, auf der sie nur als Malerei wahrnehmbar sind. Entscheidend ist dieser frei gelegte Zwischenraum, in denen sich das Bild von den Klischees der Welt entfernt, um rätselhaft, innerlich oder träumerisch zu werden. Und in solchen Zwischenräumen – und das gibt den Bildern einen surrealen Unterton von "Welt und Gegenwelt" – müssen wir Betrachter uns als Prautzsche Figuren durch die offenen, gemalten Räume tasten, denn wir sind jetzt die Protagonisten, die sich – auf uns selbst zurückgeworfen – diesen Kunsträumen erst vergewissern müssen. 

 

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